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Fastenpredigten in St. Godahard, Hildesheim: Das Benedictus

28. Februar 2010

Predigt von P. Jermias Marseille OSB am 2. Fastensonntag 2010 zu Lk 1,68-79

Liebe Schwestern und Brüder!

Zunächst kommt mir eine persönliche Anmerkung in den Sinn, dass ich vor 22 Jahren schon einmal zur Fastenpredigt in Hildesheim eingeladen war. Damals war ich noch nicht lange im Kloster. Heute – über 20 Jahre danach – kann ich sagen, dass mir das Gebet der Psalmen und Lobgesänge nicht langweilig geworden ist; im Gegenteil. Das ist doch eine Erfahrung, die nichts mit mir zu tun hat, sondern mit dem Phänomen des Stundengebetes als solche; - eine Erfahrung, die viele viele Menschen teilen.

Die Gebete des alten und neuen Bundes, die Gebete der Kirche, sind wirklich Gebets-schätze, die sich nicht abnutzen, sondern im Verlauf der Praxis eigentlich erst ihre Leuchtkraft hervorbringen. Wie wohltuend ist es, sich hier anlehnen zu können, wenn man selbst immer weniger zu sagen weiß. Und so wird das Stundengebet, wie wir es kennen, seit Jahrhunderten, werden die Psalmen seit Jahrtausenden durchgetragen, und tragen uns Beter durch.

Denn wir Menschen brauchen nicht nur das Gebet, sondern können darin eigentlich erst wesentlich Menschen sein und werden; wenn unsere Beziehung zu GOTT einen inneren Ausdruck bekommt, bzw. einen Eindruck hinterlässt. Der Mensch als Mensch ist ein Beter; in unterschiedlichsten Weisen, in verschiedensten Religionen und Kulturen. Das alleine ist doch ein Phänomen!

Heute geht es um den Lobgesang des Zacharias, das sog. Benedictus, das wir am Ende des Morgenlobes, der Laudes, singen. Es ist gesungene Heilsgeschichte, ein Danklied, das mit einem Segensspruch beginnt, und in dem ein wunderbares Geburtslied – eben auf Johannes dem Täufer – eingebettet ist.

Die Lobgesänge, wie auch der Lobgesang Mariens, das Magnificat, und der Lobgesang des Simeon, das Nunc Demitis, worüber wir an den nächsten Sonntagen hören werden, bekommen im Stundengebet eine Feierlichkeit wie das Evangelium in der Hl. Messe. Zur Vesper werden während des Lobgesangs sogar der Altar und die Beter mit Weihrauch inzensiert – gesegnet.

Wenn in den Psalmen die Schattierungen des Lebens von hell bis dunkel, von dunkel bis hell, jeden Tag neu zum Ausdruck kommen, so bricht im abschließenden Lobgesang stets das unaufhaltsame Licht der Freude GOTTES hindurch. Egal, wie wir ins Gebet hinein, bzw. herausgehen, wir kommen nicht daran vorbei, GOTT in hellen Tönen im abschließenden Canticum zu loben und zu danken. Das geschieht mindestens zwei Mal am Tag, beim Morgen- und beim Abendlob; es geschieht aber ständig, wenn wir auf den Erdkreis schauen.

So erklingt mit ziemlicher Sicherheit gerade in dieser Stunde das morgendliche Benedictus in Klöstern an der Ostküste Australiens, in Auckland und auf Neuseeland. Ständig befindet sich die Erde an irgendeiner Stelle im Gotteslob. Wir dürfen uns wirklich so eingebunden wissen. Aber nicht nur, dass wir eingebunden sind in den Reigen des betenden Erdkreises, sondern auch in den Rhythmus der Natur. Beten ist immer auch Beten im Kosmos und kosmisches Beten. Liturgie ist immer auch kosmische Liturgie.

Dass sich der Mensch insbesondere morgens und abends zum Gebet sammelt, hat von alters her auch seinen Grund in der Atmosphäre der Natur, die dem Gebet gerade in diesen Zeiten sehr zuträglich ist. Sie werden das alle kennen; und doch ist es gut, sich das immer mal wieder dankend bewusst werden zu lassen. Erst in den Jahren, in denen ich in unserem Kloster in Tabgha am See Genesareth in dieser unmittelbaren schönen Natur gelebt habe, ist es mir wirklich deutlich geworden: Die Zeitspanne des Sonnenaufgangs, bzw. Sonnenuntergangs, also genau dann, wenn das Morgenlob, die Laudes, und das Abendlob, die Vesper, gesungen wird, ist eine ganz besondere. Im Umbruch zwischen Nacht und Tag und zwischen Tag und Nacht gibt es einen Zeitraum, in dem es besonders still ist, in der die ganze Natur schweigt, der See wie ein ruhiger Spiegel daliegt, kein Vogel zwitschert, kein welkes Blatt vom Baum fällt, kein Tier und kein Wind sich regen; wie die Pause der Stille zwischen Ausatmen und Einatmen. In dieser und aus dieser Stille heraus erhebt sich das Lob Gottes im Menschen am ungestörtesten und am freiesten.

Genau in diese Zeit des anbrechenden Morgens hinein (eine Dimension, die uns künstlich beleuchteten Städtern beinahe verloren geht) erklingt das Lob Gottes in den Worten des Zacharias:

„Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes wird uns besuchen das aufstrahlende Licht aus der Höhe“. (Lk 1, 78)

Ja, Zacharias, der Vater Johannes des Täufers, hatte wahrlich eine Nacht hinter sich; eine Nacht – nicht des selbstauferlegten Schweigens – sondern des von GOTT auferlegten Verstummens, das ihn in eine Ausweglosigkeit und „Not-wendigen“ Umkehr zog in ein Bereit- und Offenwerden für absolut Unerwartetes, Neues! ; - kein Wunder angesichts solchen Wunders.
Ganz gegen die Gewohnheit sollte er im hohen Alter noch Vater werden, und ganz gegen die Gewohnheit sollte er seinem Sohn nun nicht seinen eigenen Namen weitergeben dürfen, sondern einen neuen Namen, einen vom Engel eröffneten Namen – Johannes; „GOTT ist gnädig“.
All seine Vorstellungen, insbesondere auch seine religiösen Einsichten des Glaubens und der Zusammenhänge im Leben, hielten nicht mehr stand, zerbrachen, und gaben den Weg frei in einen neuen Morgen. Was durch diesen alten, ehrwürdigen, Gottesfrommen Priester hindurch ging, was er seelisch durch-litten und entbunden haben mag, seit der Begegnung mit dem Engel im Allerheiligsten des Tempels, können wir nicht ermessen. Nur eines ist sicher: hier hatte sich GOTT selbst eine Bahn gebrochen. Und so ist auch ER es, GOTT, der nach der Öffnung des Mundes und der Lösung der Zunge zuerst ins Wort kommt:

„Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels,…“ (Lk 1, 68)

Im Grunde – und da dürfen wir uns immer wieder neu einschwingen – ist jeder Morgen ein wirklich „neuer Morgen“ – „geschenktes Heil“. Wer sagt denn, dass wir am kommenden Morgen noch leben werden? Für unzählige Menschen war die letzte Nacht, die „letzte Nacht“; - auch unverhofft. Im Grunde ist jeder anbrechende Morgen Grund genug zu einem Lob und Dank an GOTT. Jeder Morgen hat eine Nacht hinter sich, in der wir nicht wissen, was gewesen und geschehen ist; nur das eine – sollten einen nicht Albträume geplagt haben –, dass sich die Seele ermüdet vom gottabgewandten Spuk des Vortages erholen durfte, und sich ihres Ursprungs neu gewiss wurde. Und so gehen wir – erfrischt – in den neuen Tag; - wach, Ausschau haltend: „Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels,…“ (Lk 1, 68) Mal schauen, was Du, Vater, für mich heute bereitet hast. Und lass mich – in Deinem Namen – darauf neu eingehen können. Das Benedictus dankt GOTT für den Beginn des Heils. Welche Stunde ist dafür besser geeignet als die Morgenstunde?!

Der altehrwürdige Priester Zacharias geht aus der Zeit des auferlegten Verstummens (das waren intensive Exerzitien)nicht nur mit dem Erkennen seines Sohnes Johannes hervor, sondern auch mit dem prophetischen Wissen um das Heraufkommen des starken Retters und Erlösers – JESUS CHRISTUS.
Zacharias erkennt den großen Zusammenhang, dass GOTT Seinen Bund mit Abraham einlösen wird, unsere Schritte aus der Finsternis ins Licht führen und frei setzen wird für den Weg des Friedens. In diesem Erkennen wendet er sich ganz konkret dem Konkreten, seinem Sohn, Johannes dem Täufer, zu:

„Und du, Kind, wirst Prophet des Höchsten heißen; denn du wirst dem Herrn vorangehen….“ (Lk 1, 76)

Hier ist Zacharias wirklich ein VATER. Er liebt seinen neugeborenen Sohn, d.h. er erkennt ihn in seiner von GOTT gegebenen Größe; und achtet ihn. Zacharias sieht nicht nur einen Säugling vor sich, sondern eine – ich will es mal so sagen – eine große Seele in einem kleinen Körper. Welch ein Respekt, in dem der Sohn aufwachsen und erstarken kann! Wie großartig ist diese Vaterschaft!

Wie begegnen wir einander, und wie gehen wir mit Kindern um? Wie können Kinder Achtung und Respekt lernen, wenn sie es an sich selbst nicht durch uns Erwachsene erfahren? Das heißt nicht, sie unnatürlich zu verwöhnen, aber sie zu achten als Geschöpfe GOTTES und ihnen so begegnen und so ihre Seelen ansprechen!

In der Begegnung mit einem Kind begegnen wir immer auch seinem Schöpfer. So steht im Zentrum des Dankliedes des Zacharias das Geburtslied auf seinen Sohn Johannes; aber Johannes selbst ist nicht das Zentrum der inneren Ausrichtung, sondern GOTT, der durch diesen aufkommenden Propheten wirkt.

So ist uns im Benedictus eine außerordentlich schöne Begegnung zwischen einem Vater und einem Sohn vor Augen geführt, in der wir singend in die Rolle des Vaters schlüpfen und so jeden Morgen neu den Umgang mit dem Neuen, nicht nur mit dem neugeborenen Leben, sondern auch mit dem neugeborenen Tag lernen dürfen.

Mit Zacharias und in seinen Worten kann der morgendliche Beter im großen Zusammenhang des Glaubens auch einen konkreten Menschen, eine konkrete Lebenssituation, auch sich selbst fokussieren… „Du, Kind, wirst dem Herrn vorangehen…“ Denn wir selbst tragen an jedem Morgen eine Vorläufigkeit an uns, wie Johannes der Täufer, und wissen noch nicht, wie und auf welche Weise uns am Tage „das aufstrahlende Licht aus der Höhe“. (Lk 1, 78) besuchen wird – oftmals unerkannt.

Wie auch immer es uns gegeben ist, morgens das Benedictus zu beten, und uns darin singend einzuschwingen, es ist Ausdruck einer eröffnenden Kraft für das Unberechenbare des angebrochenen neuen Tages, und Ausdruck der Gnade, dem Unberechenbaren im Vertrauen auf GOTTES Gegenwart begegnen zu dürfen; denn – dessen dürfen wir uns gewiss sein, ob wir es erkennen werden oder nicht:

„das aufstrahlende Licht aus der Höhe (wird uns besuchen)“ (Lk 1, 78);

es wird ein Tag mit GOTT werden; so oder so.

Liebe Schwestern und Brüder!
Das Benedictus ist ein hoffnungsfroher Lobgesang, mit dem wir in den Tag hinein entlassen werden und der vom Morgen her in uns nachschwingt …
was kann uns besseres passieren?!