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Ich will zu meinem Vater gehen

01. April 2019

Predigt von Bruder Simeon am Vierten Fastensonntag, Sonntag, 21. März 2019, in der Dormitio-Basilika in Jerusalem.

Schrifttexte des Sonntags

Vater und Sohn. Vater und Sohn.

Bild von Free-Photos auf Pixabay

הִנֵּה מַה טוֹב וּמַה נָּעִים שֶׁבֶת אָחִים גַּם יַחַד

„Seht doch, wie gut es ist und wie schön, wenn Brüder beieinander wohnen in Eintracht!“
(Ps 133,1)

Liebe Schwestern und Brüder,

dieser erste Vers aus Psalm 133, den wir Mönche in jeden Mittwoch in der Komplet beten, ist auch der Text eines bekannten traditionellen jüdischen Volksliedes, das besonders am Shabbat, bei Familienfesten oder zu anderen frohes Anlässen gesungen wird. Zusammen mit der wunderbar eingängigen Melodie hat es als Kanon Eingang gefunden in unzählige Singbücher von Pfadfindergruppen und Liedhefte von Jugendbewegungen. Vielleicht eines der bekanntesten hebräischen Lieder.

Allein am Bekanntheitsgrad gemessen würde diesem Psalmvers dennoch das sogenannte Gleichnis vom Verlorenen Sohn aus dem Lukasevangelium (Lk 15,11-32) den Platz streitig machen, oder wie ein kürzlich online-gegangenes Bibelprojekt deutscher Sprache ziemlich platt betitelte: Der „Verkaufsschlager“ unter den neutestamentlichen Beispielerzählungen. Sicherlich, der Text ist vertraut, der Ausgang auch und so ganz genau hinzuhören... Aber kommt man bei näherer Betrachtung wirklich so billig mit diesem Gleichnis Jesu weg?

Dabei ist es doch das, was sich jede/jeder am Ende wünscht: Brüder in Eintracht! Am Ende des heutigen Evangeliums, das begonnen hat mit Ein Mann hatte zwei Söhne – ein Konflikt scheint da schon vorprogrammiert –; wünscht ein friedvolles Zusammenleben der beiden Brüder, ein Zusammenfeiern der Auseinandergelebten. Ganz so wie es der Vater gleich zweimal anordnet: wir wollen ein Festmahl halten und Jetzt müssen wir uns doch freuen! Da fehlt nur noch der süße Klang dieses Psalms 133 (_Seht doch, wie gut es ist und wie schön, wenn Brüder beieinander wohnen..._), wo doch sogar von Musik und Reigen die Rede ist!

Doch es kommt anders: Der ältere Sohn bleibt draußen. Der grenzenlosen Freude des Vaters über die Heimkehr des Jüngeren steht der bodenlose Ärger des Älteren gegenüber. Das Gleichnis endet mit dieser Aufforderung des Vaters, ohne dass eine Reaktion des eingeschnappten Sohnes erfolgt. Wir werden schließlich mit der Antwort des Vaters allein gelassen und aufgefordert, uns ein – wie auch immer geartetes – Ende auszumalen. Überwindet der ältere Sohn vielleicht doch seinen Trotz und geht ins Haus um seinen Bruder willkommen zu heißen? Gibt er ihm den Willkommenskuss? Oder will er seinem jüngeren Bruder Vorhaltungen machen, da er mit großem Geschütz auffährt und dem Vater die totale verantwortungslose Verschleuderung des Erbteils dieses Versagers vor Augen führt: Dieser da, dein Sohn, der auffressend Deinen Besitz mit Prostituierten – wie es sogar wortwörtlich heißt –, kaum taucht der wieder auf, da biegen sich schon die Tische! Kann das denn sein?!

Eine größere Distanz zum Bruder ist kaum mehr möglich! Indem er sagt Dein Sohn, ist die Entscheidung für ihn eigentlich schon getroffen: Ich habe (doch) keinen Bruder (mehr)! Das Wort Bruder kommt ihm nicht über die Lippen, so entrüstet ist er über das Verhalten des Vaters, über die plötzliche Umkehrung der Verhältnisse, kaum, dass man die Arbeit auf dem Felde hinter sich lässt: Er jetzt draußen, der immer drinnen war; dann dieser andere, der jetzt alles bekommt, was man sich immer gewünscht hat.

Und geradezu erschreckend ist die Ähnlichkeit mit dem anderen Bruderpaar, von dem gleich die ersten Seiten der Bibel berichten: Als der Ackerbauer Kain seinen Bruder Abel erschlägt und der Gott auf die Frage „Wo ist dein Bruder, Abel?“ zur Antwort gibt: „Ich weiß es nicht. Bin ich denn meines Bruders Hüter?“ (s. Gen 4,9).

Seht doch wie gut es ist, und wie schön, wenn Brüder beieinander wohnen in Eintracht. Auch ohne unbedingt in Gemeinschaft zu leben oder auch eigene leibliche Brüder zu haben, kann jeder/jede ein Lied davon singen: Utopie und Wirklichkeit, Sehnsuchtsideal und Alltagsrealität sind oftmals zwei verschiedene Welten…

Liebe Schwestern und Brüder, aber, kann man des dem älteren Sohn wirklich verübeln? Soll moralisch unehrenhaftes Fehlverhalten auf diese Weise durch den Vater wirklich toleriert werden? Ist da die Eifersucht des Bruders nicht verständlich und nachvollziehbar?

Und tatsächlich, er weiß ja nicht, was wir als was wir als Zuhörende des Gleichnisses schon wissen: dass der jüngere Sohn eine gewissenhafte Erforschung seiner verfehlten Lebenslage hinter sich hat. Dass er enorme Überwindung gebraucht hat, um zur Einsicht zu kommen: Ich will zu meinem Vater gehen. Ja, dass schließlich auch der Vater mit unberechenbarem gütigem Verhalten sich erbarmt und ihm entgegengekommen ist, ihn umarmt hat – eben das alles noch bevor der Geplagte sein Schuldbekenntnis-Sprüchlein ganz zu Ende aufgesagt hat (_Vater ich habe gegen den Himmel und gegen dich gesündigt_). Dabei hat er es sich doch auf dem Weg zurück zum väterlichen Grundstück so eingeprägt hat, dass es ihn so in Fleisch und Blut übergangen ist…

Von all dem hat der ältere Sohn ja keine Ahnung! Er hört ja nur von dem Festgelage aus Grund der Heimkehr seines Bruders – und platzt vor Eifersucht. Er hat keine Ahnung, dass der Vater die ganze Zeit auf seinen jüngeren Bruder gewartet hat. Ja vielleicht hat er, der Ältere den Jüngeren wirklich für tot erklärt. Zweimal betont der Vater im Gegenzug, mein Sohn war tot und lebt auf, um die Unglaublichkeit der Vergebung zu betonen.

Die Kirchenväter haben in dem Verhalten des Vaters Christus selbst gesehen, der der gefallenen Menschheit, im jüngeren Sohn verkörpert, entgegengekommen ist. Der Vater, der ungeachtet seiner Stellung, ihm entgegenläuft, sich erniedrigt, indem er sich beeilt – wie es Orientalen eigentlich nie zu tun pflegen – und ihm das beste Gewand gibt. Der hl. Ambrosius schreibt: Christus fällt um deinen Hals, um deinen Hals vom Joch der Sklaverei zu befreien und sein sanftes Joch auf deine Schultern zu legen. (Auslegung zum Lukasevangelium 7,330)

Allein das Herz, allein die Absicht zählt für unseren Gott. Noch ehe wir uns aufmachen, erwartet er uns schon. Der Sohn hat sich abgewandt, aber der Vater war eigentlich nie weg! Das alles kommt durch Gott, der uns durch Christus mit sich versöhnt hat. Und Paulus läuft zur Höchstform auf, wenn er im Zweiten Korintherbrief schreibt: Und wenn jemand in Christus ist, dann ist er eine Neuschöpfung, das alte ist vergangen, neues ist geworden. (2 Kor 5,17f.)

Wenn dem so ist, dann dürfen wir als Christen, heute schon ein kleines Osterfest feiern und das dunkle violett der Fastenzeit auf Seite legen. Dürfen uns schon jetzt uns freuen, über unseren Gott, der uns vergibt, wenn wir uns aufmachen. Noch ist etwas Zeit zur Versöhnung, Halbzeit auf dem Weg zu Ostern hin, Zeit zu sagen: Ja, ich habe einen Bruder.

Oder mit den Worten des Dichters Huub Oosterhuis den Psalm 133 zu beten:

Allein geht auch
mit zweien noch besser
zwei oder drei
mit zwölfen
oder sieben mal sieben
einträchtig.
[…]
Man kennt einander
man weiß, zu wem man gehört
gesegnet bist du

so fühlt sich die neue Welt an
die kommen wird.


Psalm 133 schließt nach dem Lob der Eintracht der Brüder mit einem etwas seltsamen Vergleich: Es ist wie Tau der Hermon, der niedertrieft auf die Höhen des Zions. Wie passend, dass gerade in diesen Tagen die Schneeschmelze auf dem Hermon einsetzt und wir uns auf Zions Höhe befinden: Denn dorthin entbietet der HERR den Segen „Leben bin in die Ewigkeit!“