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Gegen Müdigkeit

16. Oktober 2022

„Viel ist in diesen Tagen von ‚Kriegsmüdigkeit‘ die Rede. Aber sollten wir nicht allzeit müde des Krieges, des Mordens, des Raubens, des Hungers, des Chaos? ‚Kriegsmüde hat man immer zu sein, das heißt, nicht nachdem, sondern ehe man den Krieg begonnen hat‘, schrieb schon der österreichische Schriftsteller Karl Kraus zurückblickend auf den Ersten Weltkrieg. Doch wenn heute im Angesicht des Krieges in der Ukraine von der ‚Kriegsmüdigkeit“ gesprochen wird, geht es nicht darum, dass die kriegsführenden Parteien des Kriegs überdrüssig sind, je länger er dauert. Es geht um das zunehmende Desinteresse an diesem Krieg außerhalb der Ukraine und Russland. Es besteht die Gefahr, dass wir, die wir nicht auf dem Schlachtfeld stehen und nicht im Kriegsgebiet leben, ermüden, uns nicht weiter mit dem Krieg beschäftigen und uns nicht mit allen Mitteln gegen das Unrecht einsetzen…

Auch in der heutigen ersten Lesung werden wir mit einem Krieg konfrontiert. Den Männern des Josua, dem Volk Israel, steht das Volk der Amalekiter gegenüber. Und auch hier, auf diesem Schlachtfeld, ist nirgends von Kriegsmüdigkeit die Rede. Im Gegenteil. Der Krieg geht scheinbar endlos seinen Gang: ‚Josua tat, was ihm Mose aufgetragen hatte, und kämpfte gegen Amalek‘. Doch Mose wird müde. Er steht mit erhobenen Armen, den Gottesstab in der Hand, auf dem Gipfel eines Hügels und unterstützt so die Israeliten im Kampf gegen den Feind; denn solange er ‚seine Hand erhoben hielt, war Israel stärker; sooft er aber die Hand sinken ließ, war Amalek stärker‘. Es ist doch nur zu verständlich, wenn er während des lang andauernden Kampfes die Hände sinken lässt, weil sie ihm schwer werden. Aber es wird Abhilfe geschaffen: Aaron und Hur ‚stützen seine Arme, der eine rechts, der andere links, sodass seine Hände erhoben blieben, bis das die Sonne unterging‘. Hätte Mose seine Hände nicht den ganzen Tag lang hochgehalten, hätten Josua und das Volk Israel nicht siegen können.

Im Zentrum dieser Erzählung steht nicht das Vertrauen auf die Stärke der eigenen Kämpfer, es zählt nicht die Hand am Schwert, sondern entscheidend ist Moses erhobene Hand, die Gottesstab in die Höhe hält. Entscheidend ist das Vertrauen des Moses auf die Zusage Gottes, dass Gott auf der Seite Israels steht. In dieser Hinsicht wird dieser Krieg zu einer Glaubensgeschichte: Mose und seine Begleiter werden nicht müde an die rettende Hilfe Gottes zu glauben. Dieser wache Glaube steht konträr zur körperlichen Müdigkeit. Es gilt sich unermüdlich auf Gott zu berufen, mit Ausdauer und Beständigkeit.

Und ganz und gar nicht müde im Bitten und Nachfragen, ja an Aufdringlichkeit nicht zu überbieten ist auch die Witwe im heutigen Evangelium. Nicht in geringster Weise lässt sie sich abbringen von der unverschämten Ignoranz des ungerechten Richters. Sie fordert ohne Unterlaß: ‚Verschaff mir Recht gegen meinen Widersacher!‘ Es wird nicht gesagt, um was genau die Witwe bittet oder auf welche Weise der Richter ihr dann doch letzten Endes Recht verschafft. Das tut hier auch nichts zur Sache. Nein, das Wesentliche dieser Gleichniserzählung ist die Art und Weise, wie die Frau mit der Situation umgeht: Obgleich sie sich schon lange Zeit mit der Ungerechtigkeit des Richters konfrontiert sieht, hält sie am Einfordern des Rechtes fest. Für sie ist klar, dass es Aufgabe des Richters ist, ihr zum Recht zu verhelfen. Der Ungerechtigkeit muss Einhalt geboten werden. Und der Richter mit seinem mangelnden Respekt gegenüber Gott und den Menschen setzt am Ende die Witwe tatsächlich ins Recht – und das allein aufgrund ihrer Unermüdlichkeit! Wenn schon ein ungerechter Richter so reagiert und sich – im Letzen – nicht abbringen lässt von der Beharrlichkeit einer Bitte, um wie viel mehr dann Gott: Er, der ja gerecht ist! Er will sich vom Menschen bitten, ja bedrängen lassen! Diese Hoffnung lehrt uns Jesus mit diesem Gleichnis.

Es geht also um das Festhalten am Gebet; es geht um Ausdauer. Wer immer wieder und mit großer Beharrlichkeit seine Bitten vor Gott trägt, wer sich an ihn wendet, auch wenn sich zunächst kein ‚Erfolg‘ einstellt, der gibt damit Zeugnis von der Kraft seines Glaubens. Doch ist das nicht ist zu schön gesagt, um wahr zu sein? Kann ich diesen Glauben überhaupt leben? Zurecht fragt Jesus: ‚Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, den Glauben auf der Erde finden?‘ Wir, die Gläubigen, sind gefragt.
Ich bin oft müde des Glaubens, müde im Bitten um Frieden, müde des Betens. Aber ich kann beten, weil Gott in Jesus Christus einer von uns geworden ist und selbst gebetet hat: ‚Christus hat in den Tagen seines irdischen Lebens mit lautem Schreien und unter Tränen Gebete und Bitten vor den gebracht, der ihn aus dem Tod erretten konnte, und er ist erhört worden aufgrund seiner Gottesfurcht‘ – so steht es im Hebräerbrief. Und ich bin mir gewiss, dass Jesus auch mit uns in unserem Leben betet, wenn wir es nur zulassen.“

Pater Simeon und alle Brüder in Jerusalem und in Tabgha wünschen Euch einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche!

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