Verklärung und Kreuz
06. August 2023
Der Berg Tabor, auf den wir mit dem heutigen Festgeheimnis hinaufsteigen ragt aus der Jesreel-Ebene in Galiläa in bestechender Form heraus. Er sieht bisschen aus wie eine Parabel-Kurve, erwachsen wie aus einer mathematischen Formel auf einem Koordinatenkreuz.
Dort auf dem Berg Tabor, bei der Verklärung erklingt eine klare Ansage Gottes: Mein geliebter Sohn! Hört auf IHN! – Einfach. Fokussiert. Eine Art von Kurzkatechse für jeden, der fragt, wie das geht mit dem Glauben und einem Leben im Angesicht Gottes: Jesus. – Auf IHN schauen. Auf IHN hören. In Seinen Spuren gehen, IHM nachgehen, von Seinem Beispiel lernen.
Das klingt so banal und einfach, wie es herausfordernd ist. – Nachfolge Jesu ist nicht einfach und klar: Auch wenn wir es wollen und uns darum bemühen, scheitern wir doch oft genug an unseren Schwächen und Grenzen. Und auch unser Umfeld macht es uns nicht immer leicht.
Ein sprechendes Bild für diese Spannung ist das Kreuz. Bis heute ist es, wie schon Paulus formuliert, „für Juden ein Ärgernis, für Heiden eine Torheit“ (1Kor 1,23). Das hat auch im Jahr 2023 immer noch historische Gründe, weil im Namen und im Zeichen des Kreuzes auch unfassbares Leid und Unglück über Menschen gebracht wurde. Das ist ein Erbe, das wir als Kirche nicht leugnen können, das uns herausfordert, und das eine Sensitivität und Wachsamkeit erfordert.
Gleichzeitig aber ist es für uns als Christen das Zeichen des Heils schlechthin. – Im Wissen um all das Schlechte und Gescheiterte, das Verwundete und Zerbrochene in uns und um uns ist das Kreuz das Zeichen dafür, dass es eben nicht beim Schlechten und Gescheiterten, bei den Verwundungen und Brüchen in uns und um uns bleibt, sondern dass Gott in Seiner Liebe und Barmherzigkeit all das barmherzig anschaut und vorsichtig in Seine Hand nimmt, dass ER es hält und heilt.
Man kann das Tabor-Ereignis, die Verklärung Jesu ja auch durchaus als eine Art nachösterlicher Erzählung verstehen: Die drei Jünger verlassen auf ausdrückliche Einladung Jesu für eine Zeit die Ebene des Alltags, steigen auf den Berg mit IHM. All die Sorgen und Fragen, die werden dann in diesem wunderbaren und unerschaffenen Tabor-Licht eingefangen. Das Gesetz der Alten, in der Gestalt des Moses, und die Prophezeiungen des Heils, in Gestalt des Elija, werden eins mit der neuen und befreienden Botschaft des Evangeliums in Jesus, dem Verklärten. Dem geliebten Sohn. Schaut hin. Hört auf IHN! ER trägt unsere Wunden und sie sind angenommen, verklärt.
Wir feiern an diesem Morgen und durchaus bewusst die erste Eucharistie unter unserem neuen Kreuz hier in der Dormitio-Basilika. – Ein Novum. Soweit ich es aus den wenigen Fotos der Vergangenheit erkennen kann, gab es noch nie ein Hängekreuz im Altarraum unserer Kirche. Kreuze, die auf dem Altar standen oder daneben, die gab es immer. Nun haben wir über dem Altarraum und der ganzen Kirche ein Kreuz, fast schwebend. Das mag für manche unserer Besucher und Gäste, die ja nicht nur aus dem christlichen Umfeld kommen, ein Ärgernis sein. Das müssen wir ernst nehmen. Und es ist für unsere Klosterfamilie eine Herausforderung, dass wir mit unserem Leben hier auf dem Zion, mit unseren verschiedenen Diensten und Aktivitäten im Kloster und darüber hinaus immer wieder auch ein Zeugnis dafür geben, dass das Kreuz dafürsteht, dass wir alle angenommene Kinder Gottes sind. Dass es eine Hoffnung für alle gibt. Dass für uns als Christen das Kreuz nicht eine Waffe ist, sondern mehr ein Brückenpfeiler, der verbinden will: Uns Menschen mit Gott. Uns Menschen untereinander. Mich Menschen mit mir selbst. – Wenn man unser Kreuz von unten anschaut, kann man eine solche Brückenpfeiler-Funktion durchaus erahnen.
Ein Kreuz auf dem Zion, ein Kreuz im Heiligen Land. – Dieses Kreuz verankert nun gleichzeitig auch unsere Mönchsfamilie mehr im Heiligen Land. Wir haben bewusst Olivenholz als Material gewählt. Auch wenn es nicht das typische Bauholz im Heiligen Land ist, ist der Olivenbaum doch ein sehr sprechender Baum in diesem Land: die zur Noahs Arche zurückkehrende Taube; die uralten Bäume überall hier im Land, nicht zuletzt im Garten Getsemani; die große Bedeutung und vielfache Nutzung der Olivenfrüchte und des Olivenöls; die politische und emotionale Brisanz, wenn Olivenhaine ausgerissen oder abgebrannt werden. – Der Olivenbaum ist ein Kind dieses Landes.
Kinder dieses Landes sind auch eng an der Entstehung unseres Kreuzes beteiligt, womit Glaubensgeschichten zu erzählen sind: Das Holz für unser Kreuz stammt aus Tabgha. Vor etlichen Jahren hatte man uns für dort ältere Olivenbäume gestiftet, die in Tabgha leider nicht angingen. Das Kreuz-Projekt war nun eine Chance, diese Bäume dennoch zu würdigen. Ich habe unseren Tabgha-Baumann Khalil Dowery aus Nazareth um Hilfe gebeten, die Bäume zu sichten und zu schneiden. Im Laufe der folgenden Gespräche hat Familie Dowery dann entschieden, die komplette Herstellung des Kreuzes selbst in die Hand zu nehmen und zu finanzieren. Damit hat Khalil, der in Tabgha so ziemlich alles gebaut und renoviert hat, nicht nur zu Beginn seiner beruflichen Karriere das vergoldete Metallkreuz auf dem kleinen Dachtürmchen der damals neuen Brotvermehrungskirche gestiftet, sondern jetzt, beim Eintritt in den Ruhestand, auch dieses neue Kreuz im Altarraum der Dormitio. Überdies: Jene Familie, die seinerzeit die Bäume nach Tabgha gestiftet hatte, ist eng mit dem Schreiner verwandt, der unser Kreuz gefertigt hat. – Bauleute aus Nazareth, ein Kreuz aus galiläischem Olivenholz, in unserer Mitte.
Entworfen hat das Kreuz unser Projektarchitekt Martin Struck. Er greift dabei in allen drei Dimensionen die Maße der Mensa des Altares auf. Länge, Breite und Tiefe der großen Steinplatte auf dem Altar spiegeln sich fast auf den Millimeter genau im Olivenholzkreuz. Das Kreuz an sich ist einfach und klar. Keine zusätzliche Ornamentik, auch kein Corpus. Nur das Kreuz, die sich durchstoßenden Achsen horizontaler und vertikaler Bewegung, Himmel und Erde. Die Seiten sind leicht geschwungen. Sie beschreiben eine mathematisch-geometrische Parabel in ihrem Beginn. – Unsere Glaubens- und Lebensgeschichten prägen sich im Kreuz unseres Herrn ab, drücken sich gewissermaßen aus den Ebenen unseres Alltags in die Ebene des Kreuzes hinein. Wie der Tabor sich aus dem Heiligen Land in den Himmel und in das Licht Gottes erhebt.
Mit der Eucharistiefeier an diesem besonderen Festtag der Verklärung des Herrn stehen wir jetzt bewusst unter diesem Olivenholzkreuz und gleichzeitig auf dem Tabor. Unser Kreuz wird über Tag vom Licht der Jerusalemer Sonne durch unsere Onyx-Fenster gestreift: Ein Bild unserer Sehnsucht nach Heil und Heilung, nach Gottes Nähe. Der Berg der Verklärung erstrahlt im unerschaffenen Tabor-Licht: Gottes Liebe und Nähe umfasst den Sohn, die Patriarchen und Propheten, die Apostel und alle anderen, die auf Jesus schauen und auf IHN hören. ER ist mitten unter uns. Im Zeichen des Kreuzes. In Seinem Wort. Im Brotbrechen. In unserem Bruder und unserer Schwester. „Wie ein Licht,das an einem finsteren Ort scheint, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in [unserem] Herzen“ (vgl. 2Petr 1,19).
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Pater Basilius und alle Brüder in Jerusalem und Tabgha wünschen Euch einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche!