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Das Licht Jerusalems: das Licht des Friedens und das Licht der Versöhnung

09. September 2009

Predigt von Abt Benedikt Lindemann OSB in St. Godehard, Hildesheim zum Friedensgebet in der Dormitio-Kirche am 28.8.2004

Am 28. August trafen sich in der Marienbasilika auf dem Zion Christinnen und Christen verschiedener Konfessionen, um im Rahmen des zweiwöchigen ökumenischen Friedensgebetes auch am Ort von Abendmahl, Ostererscheinungen, Pfingsten und dem Tod Mariens für den Frieden zu beten. Die Predigt wurde im Rahmen dieses Gottesdienstes in Englisch gehalten.

Verehrte Exzellenzen, liebe Schwestern und Brüder,

Sie alle kennen solche Öllämpchen, wie ich hier eines in der Hand habe. Zu Tausenden kann man diese Lampen hier in der Stadt finden: neue und wirklich alte, zerbrochene und ganze. Und sie alle sind so treffende Symbole für Jerusalem und für die Geschichte der Menschen Jerusalems mit Gott, unserem allmächtigen Vater, der diese Heilige Stadt als Seine eigene Stadt erwählt hat. Immer und immer wieder gab Er Seinem Volk Heil und Erlösung, wie eine solche Lampe Licht gibt in einer dunklen und einsamen Nacht…

Aber: Immer und immer wieder hatten die Frauen und Männer, die Kinder und die Greise von Jerusalem und im ganzen Heiligen Land unter Krieg und Terror, Zerstörung und Gewalt zu leiden. Ihre Häuser wurden niedergebrannt und zerstört, ihre Lieben wurden verletzt oder gar getötet… Ihr Leben wurde sinnlos, es zerbrach… wie die Scherben solcher Lampen… Und so wurde es immer und immer wieder dunkel in der Heiligen Stadt Jerusalem und man nannte sie ‚die Verlassene'.

Voller Sorgen und tiefer Trauer klagt der Prophet über Gottes Heilige Stadt: "Wie liegt so öde die Stadt, einst so reich an Bewohnern. […] Die ganze Nacht verbringt sie mit Weinen, über ihre Wangen rinnen die Tränen." (Klgl 1,1.2) Diese Klagen des Jeremia, die wir zu Beginn unseres Gottesdienstes gehört haben, sind vor mehr als zweieinhalb Tausend Jahren geschrieben worden, aber sie hätten immer und immer wieder gesungen werden können, wenn es dunkel und kalt in Jerusalem wurde: Als König Nebukadnezzar mit seiner Armee kam, die Stadt zerstörte, viele ihrer Bürger tötete oder sie verschleppen ließ; als die Römer den Jüdischen Aufstand niederschlugen; als muslimische Truppen die Stadt eroberten; als die christlichen Kreuzfahrer nach Jerusalem kamen und die Stadt im Blut Unschuldiger ertränkten im Blut von Juden, Muslimen und Christen; als israelische und arabisch-palästinensische Soldaten in den Straßen von Jerusalem-Al Quds kämpften… "Die ganze Nacht verbringt sie mit Weinen, über ihre Wangen rinnen die Tränen."
Schwestern und Brüder, ich glaube, dass es für uns als Christen hier in Jerusalem eine ausgesprochen verantwortungsvolle Aufgabe ist, zu trauern und zu weinen: mit den Unterdrückten und den Verwundeten, mit den Trauernden, den Hungrigen und allen, die leiden, überall auf der Welt und besonders in diesem Heiligen Land. Wir sollten trauern und weinen wie Jesus es den Frauen an Seinem Kreuzweg auftrug: "Ihr Frauen von Jerusalem, weint nicht über mich; weint über euch und eure Kinder!" (Lk 23,28). Es ist unsere Aufgabe zu weinen, weil die Kirche von Jerusalem immer die Kirche unter dem Kreuz bleiben wird, wie der Lateinische Patriarch, Michel Sabah, es formuliert. Wir müssen weinen und wir dürfen weinen, weil Gott selbst für uns gelitten hat, hier in dieser Heiligen Stadt Jerusalem.

Wir müssen weinen für all die, dies es nicht mehr können: für die, deren Stimme zerbrochen ist, für die, deren Augen trocken und dunkel sind. Aber weil unser Herr Jesus Christus hinunter gestiegen ist in die tiefste Einsamkeit und Dunkelheit und sie erleuchtet hat, sind auch wir aufgerufen, das Licht zu denen zu bringen, die in Einsamkeit und Finsternis sitzen. Wir müssen ihnen das Licht des Friedens und der Versöhnung bringen, das die Engel über Betlehems Feldern besingen: "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden!" (vgl. Lk 2,14). Friede den Menschen auf Erden, weil der Herr Seine Schöpfung liebt. Er liebt die Menschen, Er liebt Dich und Mich… Deswegen wurde das Wort Fleisch und kam als Kind zur Welt, wie eine kleine Blume in einer Winternacht, so wie es das deutsche Weihnachtslied ‚Es ist ein Ros' entsprungen' erzählt: "Das Blümelein so kleine, das duftet uns so süß; mit seinem hellen Scheine vertreibt's die Finsternis."

Ja, es gibt ihn, diesen Weg durch die Finsternis, sogar aus der Finsternis heraus, einen Weg zum Frieden. Und er beginnt hier in der Heiligen Stadt Jerusalem, heilige Stadt für uns als Christen ebenso wie für Juden und Muslime. Dieser Weg beginnt hier in Jerusalem, von dem Psalm 87 sagt, sie sei Gottes liebste Gründung: "Herrliches sagt man von dir, du Stadt unseres Gottes!" (Ps 87,3). Der Psalm führt alle die kleinen und großen Nachbarvölker des alten Israel an und sagt von ihnen, dass sie alle diese kleine Stadt Jerusalem im Judäischen Bergland kennen. Mehr noch, von Zion solle gelten: "Dort ist ein jeder gebürtig! Der Höchste selbst ist es, der dieser Stadt Bestand gibt. Der Herr schreibt im Verzeichnis der Völker: Auch dieser ist dort gebürtig!" (Ps 87,5.6)

Jerusalem also ist wie eine Mutter aller Menschen und Völker, sogar unserer Feinden und dener, die wir für unsere Feinde halten. Und wir hier stehen vor der Ehre und der Herausforderung, in dieser Stadt mit all jenen zusammenzuleben, die hier geboren sind, mit Freunden und Feinden. Natürlich, es scheint da keinen großen Unterschied zu geben zu irgendeinem anderen Ort der Welt. Überall auf der Welt muss ich mit Freunden und Feinden zusammenleben. Aber im Hinblick auf unsere Heilige Stadt Jerusalem fordert uns der Prophet Jesaja auf, dem Herrn keine Ruhe zu lassen, bis Er Jerusalem wieder hergestellt und die Stadt in der ganzen Welt berühmt gemacht hat (vgl. Jes 62,7). Und ich glaube, diese Aufforderung des Jesaja gilt für alle drei Religionen in dieser Heiligen Stadt: für Juden nicht weniger als für Muslime und ebenso für uns Christen.

Und wenn wir Christen, Juden und Muslime mit den Traurigen und den Leidenden weinen und in ihre Dunkelheit das Licht bringen, dann mag die Botschaft des Propheten Sacharja für alle drei, für Muslime, Christen und Juden gelten: "So spricht der Herr der Heere: In jenen Tagen werden zehn Männer aus Völkern aller Sprachen einen Mann aus Juda an seinem Gewand fassen, ihn festhalten und sagen: Wir wollen mit euch gehen; denn wir haben gehört: Gott ist mit euch" (Sach 8,23).

Lassen Sie uns also das Licht von Jerusalem nehmen, das Licht des Friedens und der Versöhnung! Seien wir Seine Zeugen, nicht nur in Jerusalem, sondern durch das ganze Heilige Land hindurch und bis zu den fernsten Enden der Erde (vgl. Apg 1,8), um Gott in der Höhe die Ehre zu geben und Friede Seinen Menschen auf Erden…

Amen.

+ Abt Benedikt Lindemann OSB