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"Kraft, einander zu dienen"

09. Januar 2010

Predigt von P. Jakobus Zoor OSB in Jerusalem zum Gründonnerstag 2008

Liebe Schwestern und Brüder,

ein bisschen Brot, ein wenig Wein, eine Schüssel, in die Wasser gegossen werden kann – die Requisiten für das Geschehen dieser Feier sind parat gelegt. Wir erleben damit gemeinsam einen der geheimnisvollsten Abende, in die uns die Liturgie im Laufe des Kirchenjahres hineinführt: hier auf dem Zionsberg sind wir beim letzten Abendmahl Jesu dabei. Durch nur wenige Mauern von dem Raum getrennt, der nun seit Jahrhunderten als der Ort des Geschehens gezeigt wird, feiern wir die Fußwaschung, die uns Jesus als gleichsam geronnene Zusammenfassung seines Lebens hinterlassen hat. Heute Abend hören wir in der Verkündigung den Evangelisten Johannes, der das Schwergewicht auf eben die Beschreibung dieses Zeichens legt. Zur Feier des letzten Abendmahls sagt er uns nur kurz und knapp: "Es fand ein Mahl statt!" (Joh 13, 2)

Wie das genauer ablief, erfahren wir bei den anderen Evangelisten und bei Paulus. Sie beschreiben detailliert das Geschehen des Mahles und überliefern die deutenden Worte, die uns Jesus dazu bietet: "Das ist mein Leib für euch. (…) Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut" (1 Kor 11, 24.)

Unmissverständlich leuchtet hier ein Zusammenhang auf, den uns die Feier dieses Abends jedes Jahr deutlich macht: Eucharistie ohne im Alltag gelebte Liebe ist unvollständig. Die Messe ist nicht mit dem Entlassungsruf vorbei. Sie ereignet sich weiter: nämlich in meinem Alltag, in dem ich immer wieder neu beginne, anderen zu dienen: in der Familie, im Kloster – selbst am Arbeitsplatz. Das geheimnisvolle Geschehen der Eucharistie ist erst dann vollendet, wenn durch uns der Leib und das Blut Jesu für andere spürbare Liebe geworden ist. Wie eine Quintessenz dieses Abends bringt es Jesus ins Wort, wenn er sagt: "Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen!" (Joh 13, 14)

Das ist uns vordergründig alles sehr klar. Aber gleichzeitig wissen wir auch um unsere Schwierigkeiten, diesen Anspruch mit Fleisch und Blut zu füllen, diesen Dienst in unserem Alltag zu leben. Da tun wir uns leichter mit dem Versuch, über andere zu herrschen: über den Ehepartner, über die Kinder, über den Mitbruder im Kloster, über die Mitarbeiter in der Firma – die Liste ließe sich fortsetzen. Warum ist das so? Warum schrecken wir innerlich oft davor zurück, unser Leben immer mehr als Dienst an den Menschen zu verstehen und zu gestalten?

Wir können da unsere ganz eigenen Erfahrungen gemacht haben: womöglich sind wir ausgenutzt worden von Menschen, die unser Engagement irgendwann für zu selbstverständlich gehalten haben. Oder wir haben es erleben müssen, wie wir selbst fast am Ende unserer Kräfte angelangt waren - bei dem Versuch, voller innerer Dienstbereitschaft ganz für andere da zu sein. Und solche Erfahrungen, solche Enttäuschungen setzen sich natürlich in unserer Seele fest. Sie können unser Herz hart gemacht haben. Und dies macht es uns dann oft so schwer, von unseren eigenen Bedürfnissen abzusehen und dem anderen zu dienen.

Letztlich aber steckt hinter einer solchen Haltung eine tief verwurzelte Angst um unser Dasein. Denn wer dient, der tut dies, um anderen Menschen das Leben zu ermöglichen - ohne etwas davon für sich selbst zu erwarten und ohne den Vorschuss von Sympathie zur Bedingung für diesen Dienst zu machen. Wer in seinem Leben aber innerlich ständig um seine Existenz bangen muss, der wird aus der Angst heraus, selbst zu kurz zu kommen, sich wohl kaum um das Leben anderer bemühen können.

Und genau hier leuchtet der Zusammenhang zwischen der Eucharistie und dem Dienst am anderen deutlich auf. In den Symbolen von Brot und Wein empfangen wir ja Christus selbst, der für uns gestorben und auferstanden ist. Wir bekommen immer wieder neu Leben geschenkt. Und dieses uns geschenkte Leben ist ein Leben, dem kein Tod mehr etwas anhaben kann. Jede Feier der Eucharistie will damit ein neuer Impuls, eine tiefere Kraftquelle für unsere Bereitschaft sein, dem anderen zu dienen.

Denn wenn die innere Botschaft der Eucharistie in uns ankommt, dass wir mit dem Leben schlechthin eins werden – bis in die letzten Zellen unseres Leibes hinein, dann wird daraus die geistliche Kraft wachsen können, die nötig ist, um anderen zu dienen. Die Eucharistie ist nicht die Belohnung für ein vorbildlich karitatives Leben. Sie ist die Ermöglichung eines Lebens, das bereit ist, sich zu bücken und den anderen die Füße zu waschen.

Es bleibt wohl ein Geheimnis, dass sich erst am Ende unseres Lebens klären wird, wie oft wir einem anderen dienen konnten, weil wir zuvor innerlich bei der Feier der Eucharistie unter den Zeichen von Brot und Wein mit dem Leben schlechthin gestärkt wurden.

Um was geht es konkret?
Es geht um unseren Alltag - nach diesem Gründonnerstag – wenn wir wieder zu Hause sind oder im Getriebe des Normalen. Es muss in unserem Alltag nicht immer gleich um die großen Sozialprojekte gehen. Vielmehr sind es die scheinbar unwichtigen Möglichkeiten, einander zu dienen, die wir nicht aus dem Auge verlieren sollten. Noch einmal kann uns das Symbol der Fußwaschung helfen, sie zu entdecken:

Es gibt in unserem Alltag unendlich viele Möglichkeiten, dem anderen zu helfen, wieder auf die eigenen Füße zu kommen, dafür zu sorgen, dass es mit ihm weitergeht. Da reicht oft schon ein sensibler Blick für die Lage des anderen und ein helfender Rat, wenn er sich in irgendetwas verrannt hat, was auf keinem guten Boden fußt. Dienst im Sinne des Evangeliums geschieht überall dort, wir durch unser Tun dem anderen zeigen: "Ich möchte, dass Du gut auf deinen eigenen Füßen stehen kannst und den Herausforderungen des Lebens begegnen kannst. Ich will Dir helfen, dass Dein Leben wieder auf Vertrauen, auf erfahrbare Gemeinschaft und Treue fußt. Und wenn du es nicht allein schaffst: Ich helfe dir auf die Beine."

Wenn wir gleich erleben werden, wie Abt Benedikt zwölf Männern und Frauen die Füße waschen wird, dann ist dieses liturgische Tun Ausdruck dafür, dass das Ideal des Dienstes nicht nur ein Wunsch bleiben muss, sondern Wirklichkeit werden kann. Denn alle die, denen die Füße gewaschen werden, setzen sich dienend für andere ein: sie helfen anderen, auf eigenen Füßen stehen zu können etwa palästinensischen Jungs im "Franciscan Boys Home" in Bethlehem, die sonst keine gute Startbasis für ihr Leben haben könnten. Oder sie tragen Sorge für ein Fortschreiten in der Theologie und der Ökumene, damit unser menschlicher Verstand immer mehr ergreift, wie das Reich Gottes in dieser Welt verwirklicht werden kann. Es sind Männer und Frauen, die in ihrem Alltag immer wieder anderen dienen: in der Familie, in der Klostergemeinschaft, in der sie leben und in der Kirche – als Familienvater, als Mönch oder Volontärin und Volontär. Wir dürfen heute voller Dankbarkeit die sichtbar gewordene Möglichkeit des Dienens unter uns feiern.

Liebe Schwestern und Brüder,

an diesem geheimnisvollen Abend, den wir hier gemeinsam auf dem Zion erleben dürfen, wünsche ich uns allen viel neue innere Kraft, einander dienen zu können – von der Angst befreit, dabei um das eigene, das eigentliche Leben betrogen zu werden. Denn wir bekommen das Leben neu in die Hand gelegt – gleich in wenigen Augenblicken. Es sieht aus wie ein bisschen Brot und ein wenig Wein.

P. Jakobus Zoor OSB