Der lernende Jesus
20. August 2023
„Der lernende Jesus“ – das ist sozusagen die Überschrift, die für mich über dem heutigen Evangelium steht. Am Ende dieser Erzählung über Jesus, die wir heute hören, sagt der Messias und Gottes Sohn zu einer kananäischen Frau: „Dein Glaube ist groß“ – und er gelangt zu dieser Überzeugung durch Erkenntnis und Lernbereitschaft. Jesus hat von der Frau gelernt, die nicht locker ließ von ihrer Überzeugung, dass nur ER ihrer Tochter helfen kann. Sie konfrontiert Jesus mit der Aussage, dass das Heil, das er den Menschen bringt, ausreichend ist für die Berufenen wie auch für die Gottlosen, die sogenannten Heiden.
Wie lest Ihr, lesen Sie diese unglaubliche Geschichte jener kananäischen Frau? Ja, am Ende gibt es ein Happy-End; faszinierender ist aber die Ausgangssituation: Eine Frau, zudem eine Namenlose, wendet sich in höchster Not, in der Sorge um ihre psychisch kranke Tochter, an Jesus – und wird keineswegs gleich erhört. Vielmehr entwickelt sich ein dramatisches Gespräch, ein Rededuell mit verschiedenen Zeichenhandlungen, in dessen Verlauf erst die Wende zum Guten erkämpft wird.
„Er gab ihre keine Antwort“ – Jesus war wütend … die Bitte dieser Frau scheint Jesus zu ärgern. Warum? Dann demütigt er diese Frau. Warum verhält sich Jesus so? Ist sein Verhalten gerecht? Tut sie nicht, was alle Mütter tun würden für ihr Kind? Sie ist bereit, sich beschimpfen zu lassen, wenn nur ihrem Kind geholfen wird.
Wenn die ganze Geschichte mit all den unterschiedlichen Facetten gehört wird, erschließt sich, wie sehr sie Glauben im Prozess darstellt – ein Glaube, an dem es nur Beteiligte gibt: Jesus, die Frau und die Jünger. Matthäus spricht von einer kanaanäischen Frau, einer auf der anderen Seite der Grenze, einer Heidin, damit ist eine neue Situation eröffnet.
Die Pointe liegt gerade darin, dass Jesus es mit einer nichtjüdischen Frau zu tun bekommt. Jesu Verhalten, ihr erst nicht zu antworten und ihr dann ein abwehrendes, ja beleidigendes Wort entgegenzuhalten, zielt gar nicht gegen sie als Frau, sondern als Heidin. Es geht um die Sendung Jesu: „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt.“ Im Klartext heißt es: Für Dich bin ich nicht zuständig!
Daran schließt sich der bildhafte Vergleich mit dem Brot, das nicht den Kindern weggenommen werden darf, um es den Hunden zu geben, an. Und wieder erfährt die verfahrene Situation eine erstaunliche Wende durch die Reaktion der Frau. Sie nimmt das rüde Wort auf und führt es so weiter, dass sie bekommt, was sie braucht, „die Brotreste, die vom Tisch fallen“. Ohne die Sendung Jesu zu seinem Volk infrage zu stellen, gelingt es ihr, ihn zu öffnen für die anderen, die Nichtjuden, die Heiden, die ihn und sein Evangelium genauso brauchen.
Die Größe ihres Glaubens, den Jesu anerkennt und auf den hin er ihre Tochter heilt, erweist sich vor allem in diesem Lernprozess, in den sie Jesus und seine Jünger hineinverwickelt. Jesus erfährt an ihr, dass es auch außerhalb Israels Menschen gibt, die ihm unverbrüchlich vertrauen und ihn als den Messias bekennen. „Hab erbarmen mit mir, Herr, du Sohn Davids“. Das ist nicht nur ein Hilferuf, es ist ein ganzes Glaubensbekenntnis, das Jesus entgegenschlägt.
Schauen wir nochmal auf Jesus. Er zeigt sich in dieser Perikope als von der Frau und ihrem Glauben Lernender. Er, der Lehrer ist zugleich Lernender, ganz Mensch, zu dem das Lernen gehört – eine unglaubliche, aber wahre Aussage.
Liebe Schwestern und Brüder, Jesus und die kanaanäische Frau bezeugen, dass Glaube immer mit Wachsen und Entwicklung zu tun haben – auf beiden Seiten. Glauben ereignet sich im Leben, insbesondere in Krisen, und entwickelt und verändert sich. Er ist nicht abstrakt, sondern arbeitet sich ab an den alltäglichen Herausforderungen und Leiden. Offenbar ist es manches Mal gut, wenn einem eine Fremde plötzlich vor die Füße fällt. Vielleicht ist es heilsam, wenn Fremde plötzlich vor der eigenen Haustüre auftauchen. Bei allen Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, nicht selten weitet so etwas den Blick, wenn ich mich darauf einlasse und diese Begegnung mir zu Herzen geht.
Mit Menschen, wie der kananäischen Frau, beginnt die Gemeinde Jesu Christi als Gemeinschaft der Glaubenden, in der Herkunft und Geschlecht keine Rolle mehr spielen. In diesen Prozess des Gebens und Nehmens sind wir einbezogen – im spannungsvollen Hören auf das Wort des lernenden Lehrers. Ob wir es zulassen können und uns darauf einlassen?
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Pater Jonas und alle Brüder in Jerusalem und Tabgha wünschen Euch einen gesegnete Sonntag und eine gute Woche!